JURY INTERVIEW
STEFAN SAUERBREY
07/23
Stefan Sauerbrey schreibt über Mode seit den frühen Neunzigerjahren. Ab 2015 verantwortet er die Stil-Seiten im Berliner Magazin tipBerlin – schreibt über Mode, Design und Wohnen. Lieblingsthema und redaktioneller Schwerpunkt sind für den in Berlin Geborenen Brands und Designer:innen aus Berlin. Dazu gehört natürlich auch der sich ständig wandelnde Berliner Modeeinzelhandel.
Foto: Luka Godec
WAS UNTERSCHEIDET BERLIN ALS MODESTANDORT VON ANDEREN STÄDTEN?
Die Geschichte der Stadt ist einzigartig. In etwas mehr als einhundert Jahren war es ein Sehnsuchtsort, viele Immigranten kamen in die Stadt, Schriftsteller, die hier die 1920er verbrachten und die Zeit in Romanen verewigten („Cabaret“). Dann wurde aus dieser Stadt heraus der Zweite Weltkrieg angezettelt und die furchtbarsten Verbrechen an der Menschheit geplant. In deren Folge wurde Berlin geteilt – mit Mauer und Stacheldraht. In beiden Teilen entstanden bald plötzlich Protestbewegungen und viele kreative Szenen. Die sich dann mit Fall der Mauer und der Wiedervereinigungen verbanden und gemeinsam noch mehr Energie entfalteten. Plötzlich war Berlin wieder Sehnsuchtsort – die Kreativen fühlten sich in den neuen Szenen wohl. Clubszene, elektronische Musik und immer war da auch Mode wichtig – die ganze Zeit. Mit vielen Protagonisten von früher, die wir nicht vergessen dürfen, wie Uli Richter oder Claudia Skoda, bis zu den neuen, wie Haderlump und LML Studio – unter vielen.
WELCHES POTENZIAL STECKT IN BERLIN AUCH KÜNFTIG VERSTÄRKT ALS MODESTANDORT WAHRGENOMMEN ZU WERDEN?
Berlin als Sehnsuchtsort zieht Kreative aus aller Welt an – und nicht nur aus dem Westen. Hier können sie sich entfalten. Trotz Gentrifizierung gibt es noch Freiräume, auch wenn es immer schwieriger wird günstige Arbeits- und Lebensräume zu finden. Gibt es hier Support, dann hat die Stadt das Potenzial, denn die Menschen, die diese Arbeit machen wollen, sind da. Und es gibt so viele Bildungseinrichtungen, die Mode lehren. Wichtig ist es, Raum zu lassen. Wichtig ist das Thema Nachhaltigkeit gerade in der Berliner Mode, aber kreative Mode sollte nicht allein darauf reduziert werden.
WIESO LEBST DU IN BERLIN? WAS SIND DEINE LIEBSTEN ORTE IN DER STADT?
Ich bin hier geboren! Und ich wollte nie weg. Ich war mal ein halbes Jahr in Hamburg, das war toll. Ich war bestimmt schon 20 mal in New York. Aber ich wollte immer zurück nach Berlin, obwohl ich, wie die meisten Berliner:innen viel an der Stadt rummäkele (irgendwie aus Liebe zur Stadt). Die Stadt ist so divers! Mein Lieblingsplatz ist der Luise-Viktoria-Platz, so ruhig und bürgerlich! Sonntags gehe ich gern in den Bierhof Rüdersdorf – und wenn keiner ansteht, spontan ins Berghain. Neulich habe ich Fräulein Brösel in Neukölln besucht – so lebendig die Gegend. Ich bin durch und durch Ost-Berliner, aber ich liebe das KaDeWe und die Kieze in Charlottenburg. Nach all den Jahren entdecke ich immer wieder Neues. Und im Sommer besuche ich gern Freunde in der Uckermark. Angeblich die Hamptons von Berlin.
WIE BLICKST DU AUF DIE BERLIN FASHION WEEK?
Mit Neugier. Ich freue mich, dass es bei der Fashion Week jetzt um Mode und kreative Talente geht. Der Start am Brandenburger Tor war vielleicht ein Irrweg. Da ging es doch eigentlich vor allem darum, dass der Hauptsponsor glücklich ist, wer in der "ersten Reihe“ bei den Schauen sitzt und dass der Boulevard und RTL Exclusiv berichten. Natürlich haben auch da schon viele Berliner Modetalente Aufmerksamkeit bekommen. Aber ich denke jetzt, wenn mehr nach modischen, kreativen Aspekten kuratiert wird, haben auch alle mehr davon. Und nein, Berlin will sich nicht mit Mailand, Paris oder London messen – die Stadt macht ihr eigenes Ding!
DAS TIP-MAGAZIN IST ALS DER KULTURGUIDE DER STADT BEKANNT. TRÄGT MODE ZU DIESER KULTUR BEI? WO WIRD DIESES AM MEISTEN SICHTBAR?
Die Mode ist essenziell, denn wie die Kultur, lebt sie von Kreativität. Esther Perbandt hat in der Volksbühne gezeigt und wurde Teil des Matrix-Universums, als der vierte Teil hier gedreht wurde, Isabel Vollraths Entwürfe sind schon Kunst, UY Studio aus Neukölln haben eine aufwendige Installation in der Halle am Berghain gezeigt, Claudia Skoda war Teil der Westberliner Kunstszene. Viele Modemacher:innen machen Unikate und Berliner Künstler:innen lieben Berliner Mode. Und dann habe ich gerade in der amerikanischen AD die US-Künstlerin Malene Barnett in Trippen Schuhen gesehen. Es gehört alles zusammen. Überall.